23. Januar 2009

Stolpersteinsetzung im Gedenken an Carl Theodor Frank, Kaiserstrasse 94, Mainz

Dr. Vincent C. Frank-Steiner, Basel

Werte Anwesende, liebe Freunde,

Seit weniger als einer Stunde gibt es nun einen Stolperstein im Gedenken an meinen GrossvaterCarl Theodor Frank. Ein Stolperstein ist ein symbolischer Grabstein. Ein Grabstein ist Symbol für einen Menschen, der einst gelebt. Für Carl Frank gab es nie einen Grabstein. Niemand weiss, wo sein Grab, wo auch immer die leiblichen Überreste nach seinem Tod verblieben, wo sie verscharrt wurden oder ob sie verbrannt und die Asche dann irgendwo gestreut wurde – letzteres ist wahrscheinlicher.

Als vor 4 Jahren Ferienfahrende aus fernen Landen nicht zurück kamen – Opfer des Tsunami – erinnerte an sie kein Grab, kein Symbol. Damit aber hat dieses Gleichnis schon sein Ende: Jene fuhren freiwillig und frohgemut, diese zwangsweise und aus dem bis dahin Erfahrenen gewiss nichts Gutes ahnend. Die Brutalität des Meeresbebens traf unterschiedslos Eingeborene wie die fremden Touristen. Wichtig ist, dass hier die Natur tötete, nicht Menschen in bewusster Absicht, organisiert nach sorgsamem geheimen Plan. Ein weiterer beachtlicher Unterschied liegt in der Grössenordnung der Zahl der Opfer. Unpräzise wie derartige Zahlen sind, sollten wir uns doch bewusst bleiben, dass der Nationalsozialistische Holocaust ein Vielfaches an Menschenleben forderte als der Tsunami. Gewiss, jedes Menschenleben zählt gleich.

 

"Natürlich" und "menschlich" sind Worte, die wir üblicherweise mit einem positiven Vorzeichen versehen, im Gegensatz zu "unnatürlich" und "unmenschlich". Damit liegen wir offensichtlich nicht richtig. Hat doch die Natur im einen Fall blind unschuldige Menschen getötet, im andern Fall waren es Menschen, die ebenso unschuldige Menschen - vom Säugling bis zum Greis - mordeten. Menschlich oder natürlich können somit nicht einfach mit "gut" gleichgesetzt werden. Der Mensch will nicht stets das Gute. Und die Natur? Ich möchte nicht von "Willen der Natur" sprechen.

Über die Todesumstände meines Grossvaters weiss ich wenig. Er wurde aus Mainz via Darmstadt in die zum Getto/Konzentrationslager umgemodelte tschechische Garnison Theresienstadt deportiert, dort dann irgendwie durch irgendwen auf einem Dachboden verstaut und - da er blind war - vermochte er diesen nicht mehr verlassen. Dort ist er verhungert.

Das KZ Theresienstadt nahm im deutschen Konzentrationslagersystem eine bizarre Sonderstellung ein, die damals propagandistisch diente: "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt", die Hilfswerken wie dem Roten Kreuz vorgeführt wurde, welche sich mit Erleichterung gerne irreführen liessen. Das KZ Theresienstadt (zusammen mit dem KZ Bergen-Belsen) war das einzige Lager, das direkt Himmler unterstand und nicht wie das ganze übrige KZ-System der Wirtschaftsdirektion der SS – es ging also vor allem um Geld, um Plünderung und Ausbeutung. An der Stellwand können Sie sogenanntes Lagergeld aus Theresienstadt sehen – Geld, das ordentlich aussieht aber mit dem man nichts kaufen konnte. Der Kenner und Sammler Wolfgang Haney aus Berlin hat es mir für heute verdankenswerter Weise geliehen. War eine internationale Kommission im Vorzeige-KZ Theresienstadt angesagt, wurde ein sonst geschlossener Bankschalter geöffnet, um freien Geldverkehr vorzutäuschen. Von den ins angebliche Vorzugslager Theresienstadt Deportierten haben ca. 16% irgend wie überlebt, meist stark geschädigt an Leib und Seele. Alle andern kamen dort um oder wurden weitertransportiert in die Vernichtungslager im Osten.

Wohl erinnern kann ich mich aus meiner frühen Kindheit an meinen Grossvater Carl. Nicht nur mein Mittelname Carl verbindet mich mit ihm. Wir besuchten ihn in Mainz mindestens einmal jährlich von Berlin aus. Ich sehe ihn noch, wie er – blind wie er war – die Marmortreppe in seinem Haus, das hier in der Kaiserstrasse 94 stand, zwei Stufen auf einmal in alter Gewohnheit sicheren Schrittes hochstieg. Ich erinnere mich, dass wir "Wie viel Hörner streckt der Bock?" spielten, wobei er mir freundlich die Finger auf den Rücken drückte, während ich meine gespreizten Finger einen Zentimeter über seinem Rücken nur zeigte.

Ich sagte schon, dass niemand weiss, wo so etwas wie ein Grab meines Grossvaters sein könnte. Damit ist meines Erachtens ein oft gehörtes Argument gegen die Erinnerungssteine von Gunter Demnig obsolet. Wenn heute über dieser Grabstelle irgenwo in der Gegend von Theresienstadt Kühe weiden oder Auto fahren, vielleicht eine Mietskaserne oder ein Schulhaus steht, so gehen Menschen oder Tiere über das Grab hinweg, achtlos, ohne zu stolpern und ohne dass die kleinste Chance bestünde, darauf aufmerksam zu werden, was einst an dieser Stelle geschah. Für die durch Setzen eines Stolpersteins geschaffene "Möglichkeit eines Aufmerksamwerdens" nehme ich gerne in kauf, dass manche Menschen achtlos - ohne im geistigen Sinn zu stolpern - über diesen symbolischen Gedenkstein hinweggehen. Es werden gewiss nicht alle sein.

Es erfüllt mich mit eigenartiger Genugtuung, dass die heutige Veranstaltung 5 Generationen der Familie Frank umfasst: Von den einst 6 Enkeln von Carl Theodor Frank die 3 heute noch lebenden, unsere Tochter (eine seiner Urenkelinnen), unsere 3 Enkel (seine Ururenkel). Mein Vater Rudolf Frank (einer seiner Söhne) und dessen Werk werden morgen Nachmittag an einer Veranstaltung im Antiquariat am Ballplatz gewürdigt.

Zu guter Letzt aber keinesfalls als Letztes ist es mir Bedürfnis zu danken: Zuerst Gunter Demnig und der Organisation "Stolpesteine". Besonderer Dank gilt der Mainzer Singakademie, Nachfolgerin der einstigen Liedertafel, in der mein Grossvater Sänger war und – für ihn vielleicht wichtiger - in deren Weinkommission er als Prüfer mitwirkte. Die Mainzer Singakademie hatte meine Anregung, sich der Stolpersteinsetzung für ihr ehemaliges Mitglied anzunehmen, bereitwillig aufgegriffen und einen Grossteil der damit verbundenen Arbeit geleistet. Ihnen allen möchte ich herzlich für Ihr Teilnehmen an der heutigen Erinnerungsfeier danken.

Dr. Vincent C. Frank
frank.basel@freesurf.ch