NORDWESTDEUTSCHER RUNDFUNK 358

An Herrn Grinszpan Sen. Anschrift Hamburg 13
Rothenbaumchaussee 132-34
Ruf Sammelnummer 441031
Fernschreibnummer 021128
Konto Landeszentralbank
Hamburg Nummer 2/9615
Vereinsbank in Hamburg
Postscheck Hamburg 81024

Fu/3 Hamburg, den 3. März 1949

Sehr geehrter Herr Grinszpan!

Ich muss mich im voraus entschuldigen, dass ich Ihnen datenmässig nicht genau sagen kann, wann Ihr Sohn und ich uns begegnet sind.

Meiner Erinnerung nach muss es im Juli 1942 gewesen sein, dass ich ihn zum ersten Mal im Waschraum des Zellenbaus Sachsenhausen sprach. Er sah braun gebrannt aus und schien mir gesundheitlich leidlich in Form zu sein. Er berichtete, dass man ihn im Gefangenenflugzeug von Vichy nach Deutschland gebracht hat und nun hier im Lager Sachsenhausen versuche, durch lange Verhöre die Hintermänner seiner Tat zu erfahren. Er betonte dabei, dass er keinerlei Hintermänner besessen habe, und dass es sich, wie ich bereits bei anderer Gelegenheit vor der Öffentlichkeit berichtete, um einen finanziellen Streit gehandelt habe.

Wir sind uns im Laufe der nächsten drei Wochen noch mehrmals begegnet, wobei er sehr klug über Literatur und andere kulturelle Dinge sprach und auf mein ausdrückliches Befragen erklärte er, dass er bei den Verhören in keiner Weise misshandelt worden sei. -Es war etwa drei Wochen nach unserer Bekanntschaft -vielleicht Anfang August -dass er sich von einem Mithäftling und mir frühmorgens mit einem sehr festen Händedruck verabschiedete und erklärte, dass die Verhöre abgeschlossen wären, und er nunmehr seinen Tod erwartete. Er war äusserlich sehr gefasst und liess sich nichts anmerken; aber ich hatte das Gefühl, dass er doch sehr viel Kraft gebrauchte, um sich vor den andern standhaft zu zeigen.

Ich kenne sein genaues Alter nicht. Aber er schien mir damals noch sehr jung, vielleicht 25 bis 30 Jahre alt, und es ging uns allen doch recht nahe, dass er, ohne vielleicht recht gelebt zu haben, schon dahingehen sollte. Tatsächlich war er auch nach diesem Abschiedsmorgen verschwunden. Meldungen aus dem Lager besagten, dass er hingerichtet worden sei.

Im Zellenbau selbst hat er während der Zeit seiner Anwesenheit eine Einzelzelle bewohnt und ist auch dort in diesem Routinebetrieb unbehelligt geblieben.

Zum Schluss möchte ich noch die Anschrift eines Mitgefangenen nennen, der sicher noch mehr von ihm weiss, da der Betreffende in jener Zeit Hilfskalfaktor im Zellenbau war. Der Betreffende heisst

Dr. Karl Wittig
Frankfurt/Main
Wehrheimer Strasse 9

Ich bitte Sie, versichert zu sein, dass wir uns bei dem jüngsten Versuch der Familie vom Rath, den Toten anzugreifen, mit allen Kräften wehren werden; denn das sind wir dem Dahingegangenen schuldig.

Ich verbleibe als Ihr sehr ergebener

kom. Intendant


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