Anklageschrift des Oberreichsanwalts gegen Herschel Grynszpan, Okt. 1941
Der Oberreichsanwalt
beim Volksgerichtshof

B J 393/41 g

Berlin, den 16. Oktober 1941
Geheim!
Haft!
Ausländer
Zur Zeit der Tat jugendlich!
D = Hauptband,
C = Sonderband,
B = Beiheft,
A = Anlagenband.
Anklageschrift
17, S I 1. Den berufslosen Juden Herschel Feibel (Hermann) G r y n s p a n, zuletzt in Paris wohnhaft gewesen, geboren am 28. März 1921 in Hannover, ledig, Pole, angeblich nicht bestraft,
H 17 am 7. November 1938 von der französischen Polizei festgenommen, am 15. Juli 1940 der deutschen Sicherheitspolizei überstellt und seitdem - zur Zeit in
H 20/21. der Untersuchungshaftanstalt Berlin - Moabit - in polizeilicher Schutzhaft,
bisher ohne Verteidiger,
klage ich an,

am 7. November 1938 in Paris durch dieselbe Handlung

1. das hochverräterische Unternehmen, den Führer und Reichskanzler sowie die Mitglieder der Reichsregierung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu hindern, ihre verfassungsmässigen Befugnisse in einem bestimmten Sinne auszuüben, vorbereitet zu haben, wobei die Tat im Ausland begangen ist,

2. aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch einen Menschen, den Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath, getötet zu haben, wobei der Angeschuldigte bei der Begehung der Straftat nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung einer über 18 Jahre alten Person gleich zu achten ist und die bei der Tat gezeigte besonders verwerfliche Gesinnung sowie der Schutz des Volkes eine Bestrafung wie bei einem Erwachsenen erforderlich macht.

Verbrechen nach §§ 81, 83 Abs. 2 und 3

Nr. 4, §§ 211, 73 StGB., §§ 1 und 4 der Verordnung zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher vom 4. Oktober 1939 ( RGB1. I S. 2000).

Der Angeschuldigte hat am 7. November 1938 im Gebäude der Deutschen Botschaft in Paris den Gesandtschaftsrat vom Rath durch Abgabe mehrerer Pistolenschüsse in der Absicht getötet, dadurch die Weltöffentlichkeit auf angebliche Drangsalierungen der Juden in Deutschland aufmerksam zu machen und zu erreichen, dass auf die Reichsregierung ein Druck ausgeübt werde, ihre Massnahmen zur Ausschaltung jüdischen Einflusses auf das deutsche Volksleben nicht weiter durchzuführen.

Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen.

I.

Die persönlichen Verhältnisse des Angeschuldigten.

S. I 1. Der Angeschuldigte wurde als sechstes Kind der jüdischen Eheleute Sendel (Siegmund) Grynszpan und Ryfka (Regina) geborenen Silberberg in Hannover geboren. Er ist ebenso wie seine Eltern Angehöriger des ehemaligen polnischen Staates.
S I 5. Der Vater des Angeschuldigten, geboren am 17. September 1886 in Dmenin, Bezirk Radomsk (damals Russland, später Polen), reiste mit seiner Ehefrau am 18. April 1911 ins Reichsgebiet ein und liess sich in Hannover nieder. Dort wohnte er mit seiner Familie bis zum 28. Oktober 1938 in der Altstadt, zuletzt Burgstrasse 36. Am 5. Juni 1918 meldete er bei der Gewerbepolizei in Hannover eine Schneiderei an, in der er bis zur Aufgabe dieses Gewerbes im Jahre 1929 vorübergehend auch Hilfskräfte beschäftigte. Von 1929 bis 1933 betrieb er einen Altwarenhandel, den er dann wegen angeblich schlechter Geschäftslage aufgab. Nunmehr stellte er Antrag auf Zahlung von Wohlfahrtsunterstützung und bezog diese dann auch vom 10. Juli 1933 an. Sie belief sich bis zum 15. Oktober 1934 auf
S II 7. insgesamt 1028.- RM und fiel dann fort, weil er seinen Schneidereibetrieb wieder begonnen hatte.
S I 5. Ausser zu Handwerkskammerbeitrag und Bürgersteuer wurde er zu anderen Steuern oder Abgaben nicht veranlagt, weil angeblich seine Einkünfte die Steuerfreigrenze nicht überschritten. Die auf seine Wohnung entfallende Hauszinssteuer wurde auf seinen Antrag in den Jahren 1932 bis 1937 gestundet und wurde dann im Gesambetrage von
S II 7. 654.70 RM niedergeschlagen. In politischer Hinsicht betätigte
S II 5. er sich führend im Verein der polnischen Juden.
S I 5 R/7 Von den Geschwistern des Angeschuldigten leben die am 31. Januar 1916 in Hannover geborene Esther Beile (Berta) Grynszpan und der am 29. August 1919 in Hannover geborene Markus Grynszpan. Die übrigen Geschwister sind bereits verstorben. Die eingehenden Ermittlungen über die Familie des Angeschuldigten haben keine Anhaltspunkte dafür erbracht, dass bei ihnen krankhafte Erscheinungen in geistiger Hinsicht vorgelegen haben.
S I 1/3. Der Angeschuldigte besuchte von seinem sechsten Lebensjahre ab die Volksschule I in Hannover und wurde nach Erreichung seines vierzehnten Lebensjahres Ostern 1935 aus der 2. Klasse dieser Schule entlassen. Seine Schulzeugnisse lassen erkennen, dass er im allgemeinen durchschnittliche Leistungen aufwies, es jedoch an Fleiss fehlen liess. Durchweg enthalten seine Schulzeugnisse in den ersten vier Jahren seines Schulbesuchs bei den Äusserungen über häuslichen Fleiss und Ordnung die Noten "mangelhaft" oder "nicht befriedigend". Nach seiner Schulentlassung wohnte der Angeschuldigte bis zum 9. Mai 1935 bei seinen Eltern. An diesem Tage wurde er polizeilich nach Frankfurt/Main abgemeldet und besuchte dort, um zum Zwecke einer beabsichtigten Auswanderung nach Palästina die hebräische Sprache zu erlernen, die Rabbinische Lehranstalt "Jeschiwa", in der er auch während seines Aufenthalts in Frankfurt/Main wohnte. Am 15. April 1936 kehrte er nach Hannover zurück und wohnte wieder bei seinen Eltern. Er übte keinen Beruf aus und wurde von seinen Eltern unterhalten. Am 24. April 1936 stellte er beim Polizeipräsidium in Hannover den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Am 5. Mai 1936 wurde ihm die widerrufliche Aufenthaltserlaubnis für das preussische Staatsgebiet bis zum 3. Juni 1937 erteilt.
S I 3/3R. Am 9. Juli 1936 beantragte der Angeschuldigte beim Polizeipräsidenten in Hannover die Ausstellung eines Sichtvermerks zur Wiedereinreise für eine Reise nach Brüssel bis zum Frühjahr, evtl. bis zum Sommer 1937. In seinem Antrag erklärte er damals, er habe im Jahre 1936 nach Palästina auswandern wollen, sei jedoch infolge körperlicher Schwäche abgelehnt und bis zum Frühjahr bezw. Sommer 1937 zurückgestellt worden. Da seine Eltern nicht in der Lage seien, ihn zur Erholung zu schicken, beabsichtige er, zu einer Tante nach Belgien zu reisen, die ihn solange zur Pflege bei sich aufnehmen wolle.
S I 8R/9. Ein polnischer Staatsangehöriger, der wie der Angeschuldigte in Deutschland geboren und ansässig war, wurde in Deutschland durch seinen polnischen Pass ausgewiesen und bedurfte für seine Bewegungsfreiheit innerhalb des Reiches, auch wenn er Jude war, keines Sichtvermerks der deutschen Behörde in seinem Pass. Ein polnischer Staatsangehöriger dagegen, der aus dem Ausland nach Deutschland einreisen wollte, bedurfte zum Betreten deutschen Gebiets einer besonderen Erlaubnis, die ihm in Form eines Sichtvermerks in seinem Pass erteilt wurde. Dasselbe Verfahren wurde von den polnischen Behörden gegenüber deutschen Staatsangehörigen ausgeübt, die aus dem Ausland nach Polen einreisen wollten. Ein solcher Sichtvermerk wurde niemals zu dauerndem Aufenthalt in Deutschland, sondern immer nur befristet erteilt. Verliess nun ein in Deutschland geborener polnischer Staatsangehöriger, der bis dahin in Deutschland ohne Sichtvermerk leben konnte, das Deutsche Reich, so war er, falls er wieder nach Deutschland zurückkommen wollte, denselben Vorschriften unterworfen wie ein erstmals nach Deutschland einreisender polnischer Staatsangehöriger, er konnte also jetzt nur noch auf Grund eines von den deutschen Behörden zu erteilenden Sichtvermerks auf beschränkte Zeit im Reiche Aufenthalt nehmen. Um diese Folge bei einer Reise ins Ausland von vornherein abzuwenden und sich die Rückkehr ins Reich zu dauerndem Aufenthalt zu sichern, konnte der in Deutschland ansässige polnische Staatsangehörige, wenn er vorübergehend von Deutschland ins Ausland reisen wollte, vor seiner Ausreise von der zuständigen Polizeibehörde einen sogenannten "Wiedereinreisesichtvermerk" erhalten (vgl. § 46 der Passbekanntmachung vom 7. Juni 1932 - RGB1. S. 257). Auch diese Wiedereinreisesichtvermerke waren stets befristet. Liess der Beteiligte diese Frist verstreichen, so griff das allgemeine Sichtvermerksverfahren Platz und er war so zu behandeln, wie wenn er überhaupt keinen Wiedereinreisesichtvermerk erhalten hätte.
S I 3R/4R Auf den Antrag vom 9. Juli 1936 wurde dem Angeschuldigten der Sichtvermerk zur Wiedereinreise nach Deutschland am 16. Juli 1936 mit einer Gültigkeitsdauer bis zum 1. April 1937 ausgestellt. Am 2. März 1937 wandte sich der Vater des Angeschuldigten an das Polizeipräsidium in Hannover und bat für seinen "jetzt in Paris wohnhaften Sohn Herschel Grynszpan" um eine Verlängerung des Wiedereinreisesichtvermerks bis zum 1. Juni 1937. Darauf wurde ihm ein Sichtvermerk bis zum 1. Juni 1937 für eine Wiedereinreise aus Frankreich nach Deutschland bewilligt. Am 17. September 1937 beantragte der Angeschuldigte bei der Deutschen Botschaft (Konsulatsabteilung) in Paris die Ausstellung eines Sichtvermerks zur Rückreise nach Hannover. Mit Schreiben vom 18. September 1937 fragte die Deutsche Botschaft bei dem Polizeipräsidium in Hannover an, ob gegen die Ausstellung des Sichtvermerks Bedenken beständen. Mit Schreiben vom 4. Oktober 1937 antwortete das Polizeipräsidium in Hannover, dass dem Angeschuldigten am 16. Juni 1936 (hier handelt es sich um einen Schreibfehler, das richtige Datum war der 16. Juli 1936) ein Sichtvermerk für die Reise nach Brüssel ausgestellt worden sei und zur Neuausstellung eines Sichtvermerks kein Anlass vorliege. Massgebend war für diese Entscheidung, dass der ursprünglich bis zum 1. April 1937 ausgestellte und dann bis zum 1. Juni 1937 verlängerte Sichtvermerk an diesem Tage abgelaufen war, ohne dass der Angeschuldigte eine nochmalige Verlängerung beantragt hatte, sowie ferner die Tatsache, dass der Angeschuldigte schon 1935 dem Polizeipräsidium in Frankfurt und dann wieder 1936 dem Polizeipräsidium in Hannover angegeben hatte, er habe die Absicht, nach Palästina auszuwandern. Er erschien daher nicht unbillig, ihm unter diesen Umständen die Ausstellung eines neuen Wiedereinreisesichtvermerks zu verweigern, zumal er bei der Erlangung des ersten Wiedereinreisesichtvermerks am 9. Juli 1936 insofern falsche Angaben gemacht hatte, als er nicht nur nach Belgien, sondern auch weiter nach Frankreich ausgereist war. Demgemäss wurde der Angeschuldigte von der Konsulatsabteilung der Deutschen Botschaft in Paris auf seinen Antrag abschlägig beschieden.
II.

Die Abschiebungsmassnahmen vom Oktober 1938

S I 9/11R. Die Eltern und die Geschwister des Angeschuldigten, Ester Beile sowie Markus Grynszpan, wurden am 29. 10. 1938 im Zuge einer allgemeinen Massnahme nach Polen abgeschoben. Die Gründe für diese Massnahmen waren die folgenden:

Unter dem 31. März 1938 erliess die polnische Regierung ein Gesetz über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft (Dziennik Ustaw No. 22 vom 1.4.1938 Pos. 191). Nach Artikel 1 b dieses Gesetzes konnte einem polnischen Staatsangehörigen, der im Auslande weilte, die polnische Staatsbürgerschaft aberkannt werden, wenn er nach Entstehen des polnischen Staates wenigstens 5 Jahre ununterbrochen im Auslande weilte und die Verbindung mit dem polnischen Staatswesen verloren hat.

Am 15. Oktober 1938 (Dziennik Ustaw No. 80 vom 15.10.1938) wurde im polnischen Gesetzblatt ferner eine Verordnung des Innenministers vom 6.10.1938 bekanngemacht, in der eine Kontrolle der von den polnischen Auslandsbehörden ausgestellten Pässe vorgeschrieben wurde. Nur Pässe, die den in der Verordnung vorgeschriebenen Kontrollvermerk enthielten, sollten zur Rückkehr des Passinhabers nach Polen berechtigen. Der Kontrollvermerk sollte aber in allen Fällen versagt werden, in denen die Entziehung der polnischen Staatsangehörigkeit auf Grund des Gesetzes vom 31. März 1938 möglich ist. Diese Voraussetzung lag praktisch bei allen in Deutschland befindlichen polnischen Juden vor.

Die Verordnung trat nach § 3 nach Ablauf von 14 Tagen, von ihrer Veröffentlichung an gerechnet, also mit Ablauf des 29. Oktober 1938, in Kraft. Die Deutsche Regierung sah sich daher durch die polnische Verordnung vor eine Zwangslage gestellt: Wenn sie die in Deutschland befindlichen polnischen Juden nicht bis zum 29. Oktober 1938 über die polnische Grenze schaffte, würden nach diesem Tage die polnischen Grenzbehörden sie zum Grenzübertritt nicht mehr zugelassen haben. Die Wirkung der Verordnung beschränkte sich aber nicht nur darauf, dass der darin bezeichnete Personenkreis von der Einreise nach Polen ausgeschlossen wurde; er wurde darüber hinaus auch in den Aufenthaltsländern immobilisiert. Der nicht mit dem Kontrollvermerk versehene polnische Pass berechtigte zwar formell den Inhaber zur Einreise in dritte Staaten, tatsächlich nahmen ihn aber dritte Staaten nicht auf, weil sie ihn nicht gegebenfalls in sein Heimatland Polen abschieben könnten.

Die Deutsche Regierung ist nach Erlass des Gesetzes vom 31. März 1938 an die damalige polnische Regierung herangetreten, um eine Zusicherung zu erlangen, dass Polen Personen, die auf Grund des Gesetzes ausgebürgert wurden, gleichwohl zur Rückkehr in sein Gebiet zulassen würde. Die polnische Regierung hat eine solche Zusage abgelehnt. Nach Erlass der Verordnung vom 6./15. Oktober hat sich die Deutsche Regierung erneut an die Polnische Regierung gewandt, um festzustellen, ob die Polnische Regierung bereit sei, Inhaber polnischer Pässe auf Verlangen der Reichsregierung nach Polen zuzulassen, auf wenn die Pässe keinen Kontrollvermerk enthielten. Die Polnische Regierung hat auch eine solche Verpflichtung abgelehnt. Um daher die in Deutschland sich aufhaltenden polnischen Juden nicht dauernd behalten zu müssen, blieb der Deutschen Regierung kein anderer Weg, als der, diese Juden noch vor Inkrafttreten der Verordnung vom 6./15. Oktober 1938 nach Polen abzuschieben. Dass dies mit sehr kurzer Frist geschehen musste, lag lediglich daran, dass es notwendig war zu handeln, bevor die polnische Verordnung vom 6./15. Oktober 1938 in Kraft trat. Die Härten, die sich aus diesem Abschiebungsverfahren für die Betroffenen ergaben, können nicht der Deutschen Regierung zur Last gelegt werden, sondern beruhen lediglich darauf, dass für das Inkrafttreten der Verordnung eine Frist von nur zwei Wochen vorgesehen war, und diese Zeitspanne zum grossen Teil durch die diplomatischen Verhandlungen, deren Ziel es war, eine Massenausweisung zu vermeiden, aufgebraucht wurde.

Trotz der Schnelligkeit, mit der die Massnahme durchgeführt werden musste, haben die deutschen Behörden alles getan, um unnötige Härten zu vermeiden. Die von den Massnahmen getroffenen Juden wurden in Sonderzügen zur polnischen Grenze transportiert. Vor Abgang der Transporte wurde in ausreichender Weise Verpflegung zur Verfügung gestellt. Ausserdem bestand die Möglichkeit, sich selbst zu verpflegen. Auch war ausreichendes Begleitpersonal für die Sonderzüge vorhanden, teilweise auch Helferinnen vom Roten Kreuz. An manchen Stellen leisteten auch jüdische Ärzte und jüdische Hilfsvereine Hilfe. Es wurde angeordnet, dass Personen, die transportunfähig waren, nach Untersuchung durch Amtsärzte von den Transporten ausgeschlossen werden sollten. So wurde auch davon Abstand genommen, den im Krankenhaus wegen eines Augenleidens befindlichen Szlama Zolty, einen Onkel des Angeschuldigten, und die erwerbslose Wohlfahrtsempfängerin Kula Silberberg, eine Tante des Angeschuldigten, mit abzuschieben. An der Grenze wurden die Ausgewiesenen teils mit der Bahn, teils zu Fuss auf polnisches Gebiet gebracht. Schwierigkeiten entstanden, als die polnischen Grenzbeamten vielfach die Übernahme der polnischen Juden verweigerten, obwohl diese im Besitz gültiger polnischer Pässe waren. Die polnische Regierung hat dann allerdings auf entsprechende Vorstellung ihre Übernahmepflicht alsbald anerkannt und entsprechende Weisungen erlassen. Diese drangen aber an einzelnen Grenzstellen nur langsam durch, so dass die Ausgewiesenen an einzelnen Grenzübergängen längere Zeit ausharren mussten, bis ihnen die polnischen Behörden die Weiterreise in das Innere Polens gestatteten. In der polnischen Grenzstadt Zbaszyn wurden die Ausgewiesenen schliesslich von den polnischen Behörden in einem Barackenlager untergebracht, und ein Hilfskomitee aus Warschau übernahm die Fürsorge.

Aus Hannover wurden insgesamt 484 Personen, unter denen sich auch die Eltern und Geschwister des Angeschuldigten befunden haben, mit Sammeltransporten nach Neu-Benschen abtransportiert. Die polnischen Juden wurden in Hannover nach Geschlechtern getrennt in zwei geheizten Sälen eines Gaststätten-Grossbetriebes, das den Namen "Rusthaus" trägt und fünf Minuten von der Wohnung der Eltern des Angeschuldigten entfernt liegt, untergebracht. Die Verpflegung erfolge aus der Polizeiküche und durch das israelitische Winterhilfswerk. Der Vorstand der Synagogengemeinde Hannover, die Zentralstelle für Wohlfahrtspflege der Synagogengemeinde und der jüdische Frauenverein erhielten die Erlaubnis, die abzuschiebenden polnischen Staatsangehörigen jüdischer Rasse zusätzlich zu verköstigen und mit Mänteln, Decken und Wäsche zu versehen. Während des Aufenthalts der Abzuschiebenden im Rusthaus waren ständig eine Rote-Kreuz-Schwester und ein Sanitäter im Saal anwesend. Ausserdem erfolgte die ärztliche Betreuung durch den Polizeiarzt. Im Laufe des 28. Oktober 1938 wurde es auf Wunsch gestattet, in Begleitung eines Polizeibeamten zur Wohnung zu gehen und weitere Wäsche und Kleidungstücke zu holen; diese Vergünstigung ist der Esther Beila (Berta) Grynszpan gewährt worden. Ausreichende Verpflegung wurde Transport mitgegeben. Alte Kranke und Hochschwangere wurden vom Transport aufgeschlossen. Die zur Verfügung gestellten Wagenabteile waren lediglich bis zu 70 % belegt, sodass die Reisenden zum Teil auf den Bänken schlafen konnten. Auch in dem Sonderzug, der die abzuschiebenden polnischen Staatsangehörigen jüdischer Rasse aus Hannover an die Grenze brachte, befanden sich ein Sanitäter und eine Rote-Kreuz-Schwester. Das zurückgelassene Vermögen wurde der Synagogengemeinde auf deren Antrag zur treuhänderischen Verwaltung übergeben. Der Zentrale für Wohlfahrtspflege wurde die Erlaubnis erteilt, den Abgeschobenen noch weitere Wäsche- und Kleidungsstücke nachzusenden.

III.

Darstellung der Straftat des Angeschuldigten.

S III R Nachdem sich der Angeschuldigte im Sommer 1936 zum Besuch seiner Tante nach Brüssel begeben und dort einige Monate aufgehalten hatte, reiste er heimlich am 15. September 1936
B 6 in französisches Gebiet ein und wurden Paris von seinem Onkel, dem Schneider Abraham Grynszpan,
S III 47 aufgenommen. Auf seinen Antrag erhielt er vom Polizeipräsidium in Paris eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die monatlich verlängert werden musste. Eine Arbeitserlaubnis wurde ihm nicht bewilligt. In der Folgezeit lebte er im Haushalt seines Onkels, der ihn mit untergeordneten Arbeiten in seiner Werkstatt beschäftigte und ihm dafür ausser Kost und Wohnung ein wöchentliches Taschengeld von 30 bis 50 französischen Franken gewährte. Hiervon will der Angeschuldigte für seine persönlichen Bedürfnisse nur geringfügige Beträge aufgewendet und durchschnittlich in der Woche etwa 20 bis 30 Franken erspart haben. Sein persönlicher Umgang soll sich fast nur auf den Verkehr mit dem damals 18 Jahre alten berufslosen
B 31/32 Juden Naftaly (Nathan) Kaufmann erstreckt haben, mit dem er
S III 47/48 eine enge Freundschaft geschlossen haben will.
S III 47 Der Onkel des Angeschuldigten bezog täglich die in Paris in jiddischer Sprache erscheinende Tageszeitung "La journée Parisienne", die der Angeschuldigte dann auch ständig las und sich daraus über die politischen Vorgänge unterrichtete.
B6 Im Juni 1938 wurde die dem Angeschuldigten erteilte Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängert, vielmehr erhielt er am 11. August 1938 einen polizeilichen Ausweisungsbefehl. Hiervon gab er seinem Onkel Kenntnis, erklärte ihm aber
S III 2/3 zugleich, dass er an den französischen Aussenminister schreiben werde, um eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Mit dieser Erklärung begnügte sich der Onkel des Angeschuldigten und gewährte ihm weiter bei sich Unterkunft. Der Angeschuldigte schrieb jedoch nicht an den französischen Aussenminister, sondern an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Roosevelt. In diesem Schreiben stellte er die Lage seiner Eltern in Hannover als "schrecklich" dar und begehrte, dass Roosevelt seinen Eltern und Geschwistern durch die Erlaubnis einer Einreise nach Amerika die Möglichkeit gebe, sich "den Verfolgungen durch die Hitlerregierung zu entziehen". Auf diesen Brief will er keine Antwort erhalten haben. Gleichwohl blieb er bei seinem Onkel wohnen und hielt sich in einem von diesem eigens zu diesem Zweck gemieteten besonderen Zimmer versteckt, um etwaigen Abschiebungsmassnahmen der französischen Polizei zu entgehen.
S III 3/4,34 Im Oktober 1938 las er in der französischen Tageszeitung "La journée Parisienne" mehrere Aufsätze, die sich mit den Massnahmen der deutschen Regierung über die Abschiebung der polnischen Juden befassten und diese Vorgänge in Form einer üblen Hetze als menschenunwürdige Drangsalierung der Juden in Deutschland darstellten. So wurde in diesen Aufsätzen behauptet, dass von dieser Aktion 12.000 polnische Juden betroffen seien, die wie Schwerverbrecher behandelt worden seien. Man habe sie nachts aus ihren Wohnungen herausgeholt und zum Bahnhof abgeführt und dass "wie Pakete" in Eisenbahnwagen zusammengepfercht an die polnische Grenze gebracht. Dabei seien sie aus den Eisenbahnwagen herausgeworfen und nachts von bewaffneten SA.-Männern über die Grenze gejagt worden. Um sie anzutreiben, habe man sogar hinter ihnen hergeschossen.
S III 4, A1 Am 3. November 1938 erhielt der Angeschuldigte eine Postkarte, mit der ihm seine Schwester Esther Beila Grynszpan mit dem Datum vom 31. Oktober 1938 aus der polnischen Grenzstadt Zbaszyn mitteilte, dass sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder Markus Grynszpan aus Deutschland ausgewiesen worden seien und sich nunmehr unter ungünstigsten Umständen im Barackenlager in Zbaszyn befänden, wo sie weitere Massnahmen der polnischen Regierung über ihre künftige Unterbringung erwarteten. Die Nachricht, aus der der Angeschuldigte ersah, dass auch seine Angehörigen von den Abschiebungsmassnahmen der deutschen Regierung betroffen worden waren, über deren Durchführung er aus den Schilderungen der jüdischen Presse unterrrichtet war, erregte ihn heftig. Er will von Verzweiflung gepackt worden sein und Selbstmordgedanken geäussert haben. Schon an diesem Tage fasste er den Entschluss, sich für die seinen Eltern widerfahrene Massnahme in irgend einer
S III 35/36 Weise zu rächen. Zunächst gelang es jedoch seinem Onkel, ihn zu beruhigen. In den darauffolgenden Nächten bis zum 6. November 1938 will der Angeschuldigte sich in Träumen stets mit dem Schicksal seiner Angehörigen beschäftigt und auch in der jüdischen Zeitung am 4. oder 5. November 1938 einen Aufsatz gelesen haben, in dem darüber berichtet worden sein soll, dass der polnische Staat sich weigere, die aus Deutschland abgeschobenen Juden aufzunehmen, dass diese nichts zu essen hätten und dass in den Barackenlagern die Cholera ausgebrochen sei. Weiter soll in diesem Zeitungsaufsatz berichtet worden sein, dass mehrere der Ausgewiesenen in Wahnsinn verfallen seien und andere aus Verzweiflung Selbstmord begangen hätten. Diese
S III 36/39 Schilderungen veranlassten den Angeschuldigten, am 6. November 1938 von seinem Onkel eine beschleunigte Geldüberweisung an seine Eltern zur Linderung deren angeblicher Not zu verlangen. Dazu stellte er selbst seine Ersparnisse zur Verfügung und bat seinen Onkel, diese Beträge und auch noch weitere Geldmittel auf schnellstem Wege an seine Eltern zu senden. Als ihm darauf sein Onkel erklärte, dass zunächst nähere Nachrichten abgewartet werden müssten und er überdies im Augenblick keine grösseren Geldmittel zur Verfügung habe, geriet der Angeschuldigte in heftigste Erregung und machte seinem Onkel schwere Vorwürfe. Dabei kam er zu einem heftigen Wortwechsel, bei dem die Tante des Angeschuldigten und sein zufällig hinzugekommener Freund Naftaly Kaufmann ihn zu beruhigen versuchten. Alle diese Bemühungen waren jedoch vergeblich. Als im Laufe der Auseinandersetzung der Onkel des Angeschuldigten äusserte, diese könne, wenn es ihm bei ihm nicht mehr gefalle, jederzeit gehen, verliess der Angeschuldigte unter Mitnahme seiner Ersparnisse zusammen mit seinem Freunde Kaufmann die Wohnung seines Onkels. Kaufmann versuchte, den Angeschuldigten zu beruhigen, und führte ihn zu diesem Zweck in eine Tanzveranstaltung. An dieser nahm der Angeschuldigte jedoch keinen Anteil und verabschiedete sich von Kaufmann mit der Erklärung, dass er jedenfalls an diesem Abend nicht in die Wohnung seines Onkels zurückkehren werde. Er begab sich dann in das Hotel de Suez,
S III 5, A3 wo er sich unter dem Namen Heini Alter für die Nacht ein Zimmer anweisen liess. Alsdann suchte er ein Kaffeehaus auf, in dem er ein billiges Abendessen einnahm, und kehrte darauf in das Hotel zurück.
S III 5/6 Auf diesem Wege bemerkte er bereits an diesem Abend ein Waffengeschäft.
S III 4,6 In seinem Hotelzimmer fasste nunmehr der Angeschuldigte den endgültigen Entschluss, "einen Racheakt gegen den Vertreter des Reiches zu begehen". Dabei schwebte ihm das Ziel vor, hierdurch die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Lage der Juden in Deutschland zu lenken, um zu erreichen, dass alsdann weitere Massnahmen der deutschen Regierung gegen die Juden verhindert würden.
S III 6, A2 u.4 Nachdem der Angeschuldigte die Nacht in dem Hotel de Suez verbracht und am Morgen des 7. November 1938 dort auch noch das Frühstück eingenommen hatte, begab er sich gegen 8 Uhr in das Waffengeschäft, auf das er bereits am Abend vorher aufmerksam geworden war, und erwarb dort gegen einen Kaufpreis von 210 Franken einen kleinen Trommelrevolver. Auf die Aufforderung des Waffenhändlers wies er sich mit seinem polnischen Pass aus. Auf die Frage, zu welchem Zweck der den Revolver brauche, erklärte er, dass er gelegentlich von seinen Eltern beauftragt würde, grosse Geldsummen zur Bank zu bringen, und den Wunsch habe, zur Abwehr eines etwaigen Überfalls bewaffnet zu sein. Den erworbenen Revolver liess er sich von dem Waffenhändler laden und erwarb für einen Kaufpreis von 35 Franken noch eine Anzahl Patronen. Alsdann verliess er das Waffengeschäft und suchte den Abort des Kaffeehauses, in dem er am Abend zuvor gegessen hatte, auf, untersuchte dort die erworbene Waffe und steckte fünf Patronen in die Trommel des Revolvers. Darauf verbarg er die Waffe in der linken Innentasche seines Rockes, fuhr mit der Untergrundbahn bis zu Station "Solferino" und begab sich von dort sofort zum Gebäude der Deutschen Botschaft in der Rue de Lille. Von dem vor dem
B 25 Botschaftsgebäude postierten französischen Schutzmann Francois Autret liess er sich den Eingang in das Botschaftsgebäude weisen und begab sich dann in dieses. Dort wurde er von dem Hauswart Nagorka nach seinem Wunsche gefragt und verlangte, zu einem höheren Beamten
B 22 der Botschaft geführt zu werden, dem er einen wichtigen Brief zu übergeben habe. Auf die Aufforderung des Nagorka, ihm den Brief zur Weiterleitung auszuhändigen, bestand der Angeschuldigte darauf, den Brief persönlich übergeben zu müssen. Nagorka führte ihn darauf in ein im Erdgeschoss befindliches Wartezimmer und begab sich dann in die Diensträume der Botschaftssekretäre, um den Wunsch des Angeschuldigten zu übermitteln. Zu dieser Zeit - es war etwa 3 1/2 Uhr - war von den Botschaftssekretären jedoch lediglich der Gesandtschaftsrat vom Rath anwesend. Diesem teilte Nagorka das Begehren des Angeschuldigten mit und erhielt darauf den Auftrag, den Angeschuldigten in das Dienstzimmer des Gesandtschaftsrats vom Rath zu bringen. Dementsprechend führte Nagorka den Angeschuldigten in dieses Dienstzimmer, zog sich selbst sofort zurück und begab sich auf dem Flur in Richtung des Vorzimmers des Botschafters, wo er dienstlich zu
S III 7/8 tun hatte. Der Gesandtschaftsrat vom Rath bot dem eingetretenen Angeschuldigten einen in der Nähe des Schreibtischs befindlichen Sessel zum Platznehmen an und forderte ihn auf, ihm den angekündigten Brief zu übergeben. Darauf äusserte der Angeschuldigte: "Die Juden haben nicht nur soviel zu leiden unter den Verfolgungen in Deutschland und werden nicht nur in die Konzentrationslager geworfen, man jagt sie jetzt auch noch wie gemeine Hunde weg". Während dieser Äusserung hatte er den Revolver aus der Rocktasche gezogen und schoss im Anschluss an seine Äusserung auf den Gesandtschaftsrat vom Rath die sämtlichen fünf Patronen ab, die sich im dem Trommelrevolver befanden. Von mehreren Kugeln getroffen, versuchte der Gesandtschaftsrat vom Rath noch, zur Abwehr dem Angeschuldigten einen Faustschlag ins Gesicht zu versetzen, und stürzte dann mit Hilferufen zur Tür.
B 22/24 Diese Hilferufe vernahm der Hauswart Nagorka, der sich auf dem Flur von dem Dienstzimmer des Gesandtschaftsrats vom Rath erst etwa dreissig Meter entfernt hatte, und lief sofort zum Dienstzimmer des Gesandtschaftsrats vom Rath zurück, an dessen Eingang er diesen antraf, der sich mit den Händen die linke Bauchseite hielt und äusserte: "Er hat mich dahin geschossen". Nagorka wandte sich darauf sofort dem Angeschuldigten zu, der inzwischen den Revolver weggeworfen hatte, und zu ihm äusserte: "Ich werde nichts weiter tun". Hierauf fasste Nagorka den Angeschuldigten beim Arm und führte ihn zusammen mit einem weiteren Hauswart, der hinzugekommen war, vor die Tür des Botschaftsgebäudes, wo er ihn dem dort befindlichen französischen Schutzmann Autret mit der Erklärung übergab, dass der Angeschuldigte soeben auf einen Botschaftssekretär mehrere Schüsse abgegeben habe. Auf dem Wege zur Tür des Botschaftsgebäudes äusserte der Angeschuldigte zweimal:" Dreckiges deutsches Schwein". Die der Übergabe an den
B 25/26 französischen Schutzmann Autret erklärte er diesem ohne Befragen völlig ruhig: "Ich habe soeben auf einen Mann geschossen, der im Büro war. Ich bedaure meine Tat nicht." auf dem Wege zur Polizeistation erklärte der Angeschuldigte ferner: "Ich habe das getan, um meine Eltern zu rächen, die leider in Deutschland sind."
B 27/30 Inzwischen hatten sich zwei auf die Hilferufe des Gesandtschaftsrat vom Rath herbeigeeilte Beamte der Botschaft, der Legationssekretär Ernst Achenbach und der Botschaftskanzler Kurt Bräuer um den Getroffenen bemüht, den sie in seinem Dienstzimmer ausgestreckt liegend vorfanden. Auf ihre Frage, was vorgefallen sei, äusserte vom Rath, dass der Angeschuldigte alsbald nach seinem Eintritt in das Dienstzimmer auf ihn geschossen habe und ihm dabei zugerufen habe, dass er für die Juden und insbesondere diejenigen unter ihnen, die nach Polen ausgewiesen seien, Rache nehme. Der Gesandtschaftsrat vom Rath wurde alsbald in ein Krankenhaus gebracht wo er jedoch am 9. November 1938 um 16 Uhr verstarb. Die Leichenöffnung hat ergeben, dass der Tod durch eine Kugel verursacht worden ist, die in die linke Seite des Unterleibes eingedrungen war und leicht ansteigend auf ihrem Wege die Milz zerrissen und den Magen, die Bauspeicheldrüse sowie das Zwerchfell durchbohrt hatte.
B 3 Bei der Untersuchung der Kleidung des Angeschuldigten auf der französischen Polizeistation wurde bei ihm eine an seinen Onkel gerichtete Karte vorgefunden, die er kurz vor der Tat geschrieben hatte und die folgenden Text enthielt: "Mit der Hilfe Gottes! Meine lieben Eltern. Ich konnte nicht anders! Möge Gott mir verzeihen. Mein Herz blutet, wenn ich von einer Tragödie und von den 12,000 anderen Juden hören muss. Ich muss protestieren, damit die ganze Welt meinen Protest hört und ich muss es tun. Verzeiht mir. Hermann."
IV.

Die Einlassung des Angeschuldigten

Den im Abschnitt III der Anklageschrift dargestellten Sachverhalt hat der Angeschuldigte bei seiner ersten
S III 2/8 Vernehmung vor der französischen Polizei am 7. November 1938 eingeräumt. Bei seiner ersten Vernehmung durch den
B 17 französischen Untersuchungsrichter am 8. November 1938 hat er dann weiter erklärt, dass er nicht aus Hass oder Rache gehandelt habe, sondern aus Liebe zu seinem Vater und seinem Volke, dass unerhörte Leiden erdulden müsse. Am 19. November 1938 hat er in einem Schreiben an den
B 18 französischen Untersuchungsrichter mitgeteilt, er habe erfahren, dass demnächst mit ihm ein Verhör in der Deutschen Botschaft stattfinden solle, und erklärt, dass er keinesfalls in die Deutsche Botschaft ginge, weil er keinen deutschen Boden
B 21 betreten wolle. Am 28. August 1939 richtete der Angeschuldigte an den französischen Justizminister ein Schreiben, das in deutscher Übersetzung folgendermassen lautet:

"Ich weiss, dass Frankreich tragische Stunden durchlebt. Ich erlaube mir also, Sie zu bitten, mir gestatten zu wollen, als Freiwilliger in die französische Armee einzutreten. Ich möchte mit meinem Blute mich von der Tat loskaufen, die ich begangen habe und so die Schwierigkeiten wieder gutmachen, die ich dem Lande bereitet habe, da es mir seine Gastfreundschaft gewährt hat. Nehmen Sie, Herr Minister, mit meinem Dank den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung. gez. Herschel Grynszpan."

Nach seiner Überstellung an die deutsche Sicherheitspolizei hat der Angeschuldigte dann bei seiner ersten

S III 9/11 staatspolizeilichen Vernehmung am 20. Juli 1940 behauptet, niemals die Absicht gehabt zu haben, einen Beamten der Deutschen Botschaft zu töten, und erklärt, sich lediglich mit Selbstmordgedanken getragen und auch nur zu diesem Zweck die Schusswaffe erworben zu haben. Er habe sich in die Deutsche Botschaft begeben, um dort aus Protest gegen die seinen Eltern widerfahrene Behandlung vor den Augen eines Beamten der Botschaft Selbstmord zu begehen, sei dann aber über schwere Beschimpfungen, die ihm gegenüber der Gesandtschaftsrat vom Rath geäussert habe, in eine derartige Wut geraten, dass er blindlings ohne jede Überlegung auf diesen die Schüsse abgegeben habe. Diese Einlassung hat der Angeschuldigte auch bei seiner weiteren
S 12/17 staatspolizeilichen Vernehmung am 23. Juli 1940
B 18/33R aufrechterhalten und sie ferner in einer umfangreichen
34/48 eigenhändigen Niederschrift von demselben Tage wiederholt. Im Laufe der weiteren Ermittlungen hat er sich dann sogar zu
H 8/9 der frechen lügnerischen Behauptung verstiegen, den Gesandtschaftsrat vom Rath bereits längere Zeit vorher kennen gelernt zu haben und von ihm mehrmals homosexuell missbraucht worden zu sein.
V.

Tatsächliche und rechtliche Würdigung.

Aus den verschiedenen Einlassungen des Angeschuldigten ist zu erkennen, dass er die inzwischen verflossene Zeit benutzt hat, um sich eine ihm günstig erscheinende Verteidigung zurechtzulegen. Die neueren Einlassungen des Angeschuldigten enthalten an sich schon zahlreiche Widersprüche zu dem Tathergang, wie er sich nach allgemeiner Erfahrung überhaupt nur zugetragen haben kann. Unglaubhaft ist, dass der Angeschuldigte von vornherein nur die Absicht gehabt haben will, in dem deutschen Botschaftsgebäude vor den Augen eines deutschen Beamten Selbstmord zu verüben. Hiergegen spricht schon der Inhalt der bei dem Angeschuldigten vorgefundenen Karte, die er unmittelbar vor der Tat geschrieben hatte und deren Inhalt die politischen Beweggründe seiner Tat eindeutig erweist. Widersinnig ist ferner die Darstellung des Angeschuldigten, dass der Gesandtschaftsrat vom Rath ihn ohne ersichtlichen Anlass beschimpft hätte. Schliesslich ist auch kein Grund dafür ersichtlich, weshalb der Angeschuldigte diese neuere Darstellung des Tathergangs nicht von vornherein bei seiner ersten Vernehmung vor der französischen Polizei gegeben haben, sich vielmehr gerade bei diesem Verhör angeblich der Wahrheit zuwider ohne ersichtlichen Grund auf schwerste belastet haben sollte. Zweifellos entsprechen die von ihm unmittelbar nach der Tat vor der französischen Polizei gemachten Angaben dem wahren Sachverhalt. Bei diesen Angaben des Angeschuldigten ist der Tathergang und der Beweggrund zur Tat in durchaus glaubhafter Form geschildert. Überdies werden die als Zeugen benannten französischen Kriminalbeamten, die den Angeschuldigten damals vernommen haben, bekunden, dass die damalige Niederschrift den Angaben entsprochen hat, die der Angeschuldigte vor ihnen
S III 49/54 gemacht hat, und dass seine neuerliche Behauptung, er sei damals missverstanden und sogar bedroht worden, nicht den Tatsachen entspricht.

Nach dem bei den französischen Gerichtsakten befindlichen Gutachten der französischen gerichtsärztlichen Kommission ist der Angeschuldigte in strafrechtlicher Hinsicht voll verantwortlich. Danach bestehen gegen seine Zurechnungsfähigkeit zur Zeit der Tat nicht nur keine Bedenken, er besitzt sogar ein ganz normales Mass geistiger Begabung, sodass er nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung einer erwachsenen Person gleichzuachten ist.

Der Angeschuldigte hat die Tat nicht in einer augenblicklichen Gefühlsaufwallung, sondern mit Vorbedacht planmässig ausgeführt. Nicht bereits am 3. November 1938, an dem er die Mitteilung seiner Schwester über die Ausweisung seiner Familienangehörigen aus dem Deutschen Reiche erhalten hat, sondern erst vier Tage später ist er zur Tat geschritten. Dabei hat er, beeinflusst durch die gerichtsbekannte ständige jüdische Hetze gegen den Nationalsozialismus im Auslande, aus einem unauslöschlichen Hass gegen die nationalsozialistische Staatsführung des Reiches und, wie der Tathergang erweist, in besonders heimtückischer Weise gehandelt.

Aus den zutreffenden Angaben des Angeschuldigten bei seinem ersten Verhör unmittelbar nach der Tat geht eindeutig hervor, dass er die Tat nicht nur zur Befriedigung seiner Hass- und Rachegefühle begangen hat, sondern mit ihr vielmehr das Ziel verfolgt hat, die jüdisch beeinflusste öffentliche Meinung der Welt zu einem flammenden Protest gegen die nationalsozialistische Staatsführung des Deutschen Reiches aufzustacheln. Damit erstrebte der Angeschuldigte, in die damalige äusserst gespannte politische Lage, die gerade erst durch den Friedensakt von München eine gewisse notdürftige Beruhigung erfahren hatte, einen neuen Zündstoff zu bringen, um eine geschlossene Front der Regierungen aller dem Deutschen Reiche missgünstigen Länder herbeizuführen, unter deren Druck die deutsche Regierung gezwungen werden sollte, von der weiteren Durchführung ihrer Massnahmen zur Ausschaltung jüdischen Einflusses aus dem deutschen Volksleben abzusehen. Dass die Tat des Angeschuldigten tatsächlich in der jüdischen Presse das von ihm erwartete Echo gefunden hat, ist gerichtsbekannt. Die jüdischen Zeitungen des Auslandes haben die Berichterstattung über die Tat zum Anlass genommen, ihre Hetze gegen das Deutsche Reich ins Masslose zu steigern. Dabei hat sogar die in Amsterdam erscheinende Zeitung "Koerier" in ihrer Ausgabe vom 8. November 1938 an die Schilderung der Tat des Angeschuldigten folgende Bemerkung geknüpft:

"Das ist vom Standpunkt der Vernunft nicht richtig, aber menschlich erklärbar. Hätte der Mann eine richtig gezielte Bombe gegen das Triumvirat Hitler-Göring-Goebbels geworfen, dann wäre sie an die richtige Adresse gerichtet gewesen; dann wäre seine Tat auch nicht verbrecherisch gewesen."

Die jüdische Presse der Vereinigten Staaten von Nordamerika hat ferner alsbald nach der Tat eine Sammlung von insgesamt drei Millionen Dollar durchgeführt und angekündigt, dass dieses Geld dazu verwendet werden solle, den Strafprozess gegen den Angeschuldigten zu einem gewaltigen Sturmlauf gegen den Nationalsozialismus zu gestalten.

Demnach stellt der vom Angeschuldigten aus niedrigen Beweggründen heimtückisch begangene Mord (§ 211 StGB.) zugleich (§ 73 StGB.) eine Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (§§ 81, 83 Abs.2 StGB.) dar, die unter den erschwerenden Umständen der Tatbegehung im Auslande (§ 83 Abs.3 Nr.4 StGB.) erfolgt ist.

B e w e i s m i t t e l
I. Die Einlassungen des Angeschuldigten:

Sonderband III B1.2/8, 9/11, 12/17, 18/48, Beiheft B1.17;

II. Die Zeugen:

  1. Regierungsoberinspektor Wöhrn:
    Hauptband Bl.1/15,
  2. Schutzpolizist Francois Autret bei der französischen Schutzpolizei in Paris:
    Beiheft B1.25/26, Sonderband III Bl.49/50
  3. Kriminalkommissar Dufailly bei der französischen Kriminalpolizei in Paris:
    Sonderband III Bl.51/52,
  4. Oberkriminalkommissar Charles Badin bei der französischen Kriminalpolizei in Paris:
    Sonderband III Bl.53/54;

III. der Sachverständige:

Universitätsprofessor Dr. Müller-Hess in Berlin NW. 40, Hannoverschestrasse 6, zur Erstattung eines Gutachtens über die Zurechnungsfähigkeit des Angeschuldigten;

IV. folgende Urkunden und sonstige Beweisstücke:

  1. der nachzureichende Strafregisterauszug über den Angeschuldigten,
  2. die Postkarte der Schwester des Angeschuldigten vom 31. Oktober 1938:
    Anlagenband Hülle 1,
  3. der polnische Pass des Angeschuldigten:
    Anlagenband Hülle 2
  4. der vom Angeschuldigten auf den Namen Heini Alter ausgefüllte Meldezettel des Hotel de Suez:
    Anlagenband Hülle 3,
  1. die Kaufbescheinigung über den Erwerb der Pistole durch den Angeschuldigten:
    Anlagenband Hülle 4,
  2. das Schreiben des Angeschuldigten an den französischen Justizminister vom 28. August 1939:
    Beiheft B1.21
  3. das Sektionsprotokoll:
    Anlagenband Hülle 13,
  4. das Gutachten der gerichtsärztlichen Kommission in Paris vom 2. Februar 1939:
    Beiheft Bl.19/20,
  5. die zur Tat verwandte Pistole nebst Munition in besonderem Paket,
  6. die französischen Polizei- und Gerichtsakten als besondere Beistücke.

Ich beantrage,
gegen den Angeschuldigten Herschel Feibel G r y n s z p a n die Hauptverhandlung vor dem 2. Senat des Volksgerichtshofs anzuordnen und ihm einen Verteidiger zu bestellen.

gez. Lautz

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