Ministerialrat Diewerge Berlin, den 14. April 1942.

Herrn

Reichshauptamtsleiter Tiessler, G e h e i m !

im Hause.

Betrifft: Mordprozess Grünspan

- Verhalten bei Lüge des Mörders über angebliche homosexuelle Beziehungen mit dem Ermordeten -

Lieber Parteigenosse Tiessler !

Unter Bezugnahme auf unsere Unterredung und mit Zustimmung des Herrn Staatssekretärs übersende ich Ihnen in der Anlage Abschrift eines Schnellbriefes, den der Herr Reichsminister der Justiz an Reichsminister Dr. Goebbels gerichtet hat, und füge Abschrift einer Niederschrift vom 24.1.1942 bei. In diesem Schreiben wirft der Reichsjustizminister erneut die Frage auf, ob der Führer über die Möglichkeit unterrichtet ist, dass Grünspan zum Zwecke seiner Verteidigung angeblich homosexuelle Beziehungen zu dem Ermordeten vorbringen wird.

Sie sind über den näheren Sachverhalt unterrichtet. Es handelt sich dabei darum, ob wir wegen dieser Möglichkeit, die dem Juden meiner Meinung nach durch das Ihnen bekannte Versehen des Reichsjustizministeriums durch eine Aufnahme in die Anklageschrift besonders nahegebracht wird, von einem Prozess Abstand nehmen, der geeignet ist, die Kriegsschuld des Weltjudentums in weitestem Ausmasse nachzuweisen.

Meiner Ansicht nach ist der Führer bereits seit Herbst v.Js. von dieser Möglichkeit unterrichtet. Jedenfalls war ein Vermerk darüber in einem dem Führer vorgelegtem SD-Bericht enthalten, auf den hin er die Durchführung des Prozesses zunächst anordnete.

Nach einer Mitteilung von Herrn Prof. Grimm ist auch der Reichsaussenminister über die Möglichkeit unterrichtet und soll sich dahin geäussert haben, dass diese offensichtliche Lüge auf die Durchführung des Prozesses keine Wirkung haben könne.

Aus Ihnen bekannten Gründen aber bringt das Reichsjustizministerium diesen Einwand immer wieder vor. Aus diesem Grunde würde ich es für zweckmässig halten, wenn eine Befragung des Führers in folgenden Punkten stattfinden könnte:

1. Ist dem Führer bekannt, dass der Mörder ggf. die Lüge vorbringen wird, dass er mit dem Ermordeten in unerlaubten Beziehungen gestanden habe?

2. Ist der Führer trotz dieser Möglichkeit einverstanden, dass der Prozess in dem von ihm genehmigten Rahmen durchgeführt wird?

3. Von deutscher Seite wird dieses Motiv im Prozess überhaupt nicht angeschnitten werden. Ist der Führer damit einverstanden, dass dem Mörder beim Erwähnen dieses offensichtlich völlig erdichteten Vorwurfes das Wort entzogen wird?

Zu Ihrer Orientierung möchte ich noch folgendes hinzusetzen:

1. Was über den Prozess im Inland berichtet wird, ist Sache unserer Presse- und Rundfunksteuerung. Infolgedessen würde eine Bemerkung des Mörders im Gerichtssaal keine propagandistische Wirkung haben.

2. Was die uns feindliche ausländische Presse über den Prozess berichtet, kann sowieso nicht gesteuert werden. Wir müssten auch für den Fall, dass der Mörder das Motiv nicht erwähnt, mit einer ähnlichen Lügenkampagne rechnen. Es handelt sich dabei um dieselben Kräfte, die alle führenden Männer ständig mit Schmutz bewerfen.

3. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich die entsprechende Entscheidung schriftlich erhalten könnte, damit endlich diese dauernde Beunruhigung der laufenden Prozessvorbereitungen abgestoppt werden kann.

Zu Ihrer Information füge ich einen vom Herrn Minister soeben genehmigten Plan für die Durchführung des Prozess innerhalb von sieben Tagen bei.

Heil Hitler!

Ihr
gez. Diewerge.


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