A b s c h r i f t

Staatssekretär z.D. Leopold Gutterer Wuppertal-Ronsdorf,

In der Krim 44

29.9.53

Herrn

Dr. jur. Michael Graf Soltikow

M ü n c h e n 22

Schönefeldstrasse 21

Sehr geehrter Graf Soltikow !

Zunächst bitte ich zu entschuldigen, dass ich erst heute dazu komme, Ihr Schreiben vom 5.9. zu beantworten. Jedoch verschiedene geschäftliche Reisen machten mir es unmöglich, vorher zu Ihren interessanten Ausführungen in Abzug auf den Fall

G r y n s p a n Stellung zu nehmen.

Ich kann hierzu aus eigener Kenntnis folgendes feststellen:

Ich erinnere mich zwar nicht mehrgenau an das Datum, jedoch kann es im Mai 42 gewesen sein, als Dr. Goebbels auf Grund wiederholter Anregungen seitens des Reichsleiters Bormann beabsichtigte, einen grossen Schauprozess gegen den Ju-den Herschel Grynspan aufzuziehen. Wir sprachen unter Hinzuziehung verschiede-ner Fachabteilungsleiter (Presse, Rundfunk, Film) wiederholt über dieses Vorhaben. Ich riet zunächst von der Durchführung dieses Prozesses ab, damit bekannt war, dass Grynspan bereits in Frankreich wegen der Erschiessung des Herrn vom Rath rechtskräftig bestraft war und allgemein in der Welt gültig Grundsatz "ne bis in Idem" von uns nicht einfach beiseite geschoben werden konnte. Wie sollten wir der Weltöf-fentlichkeit die Berechtigung zu diesem Prozess klar machen? Ich setzte mich daher mit dem damaligen Oberreichsanwalt Dr. Lautz in Verbindung und liess mir die fran-zösischen Akten kommen, die ich sorgfältig durchstudierte und dabei zu jener Zeit erst zur Kenntnis nahm, dass es sich bei der Erschiessung des Herrn vom Rath durch Grynspan nicht um eine Politische Aktion gehandelt hat, sondern dass zwi-schen vom Rath und Grynspan homosexuelle Beziehungen bestanden hatten und es sich bei der Ermordung um persönliche Rache handelte.

Die Kenntnisnahme dieser tatsächlichen Zusammenhänge war für mich geradezu erschütternd, da ich bis dato angenommen hatte, dass Grynspan mit der Erschies- sung des Herrn vom Rath eine Demonstration des Weltjudentums gegen das natio-nalsozialistische Deutschland im Sinne gehabt hätte. Da aus den Akten hervorging, dass ihm bei der Gerichtsverhandlung dieser Vorsatz sozusagen aufoktruiert werden sollte, er aber es strikte ablehnte, seine Tat mit dem Mäntelchen politischer Märty-rerschaft zu umhüllen, war für mich klar, dass es nicht zu verhindern gewesen wäre, dass Grynspan bei einem neuerlichen Monstre-Prozess in Deutschland diese Zu-sammenhänge erneut zur Kenntnis des Gerichts und damit der Weltöffentlichkeit brachte. Da man sozusagen seit 38 Herrn vom Rath zu einem politischen Märtyrer in Deutschland gestempelt hatte, musste die Durchführung eines Prozesses zu un-glaublichen Folgerungen sowohl in Deutschland als auch in der Welt führen. Das damalige Regime hätte sich bis auf die Knochen blamiert, und ich bot daher, nach-dem ich die Zusammenhänge erkannt hatte, meinen ganzen Einfluss auf, um die Durchführung des Schauprozesses gegen Grynspan zu verhindern, wobei ich von den verschiedensten Abteilungsleitern des Ministeriums unterstützt wurde und es mir auch gelang, Dr. Goebbels zu überzeugen, der dann seinerseits seinen Einfluss bei Adolf Hitler dahingehend gelten machte, die ostentativen Forderungen der Par-tiekanzlei nach Durchführung dieses Prozesses zu Fall zu bringen.

Den oben dargelegten Sachverhalt bin ich bereit, jederzeit auf meinen Eid zu neh-men.

Mit vorzüglicher Hochachtung

gez. Leopold Gutterer

CDXLVI-57


[ top of page ]

[ Inhaltsverzeichnis ]