Erich Wollenberg München 19
Ferdinand-Maria-Strasse 17

den 3. Mai 1964

Herrn
Rechtsanwalt
Dr. vom Rath
W i e s b a d e n
Friedrichstrasse 12

Sehr geehrter Herr vom Rath,

ich hatte seit Jahren schon die Absicht, Ihnen im Zusammenhang mit der Verleumdungskampagne gegen Ihren Bruder und gegen den jungen Grünspahn zu schreiben hatte aber Ihre Adresse nicht, die ich vergebens im Frankfurter Telefonbuch suchte, es kam auch stets etwas dazwischen: Krankheit, Auslandsreisen.

Zunächst kurz zu meiner Person: Jahrgang 1892, Königsberg/Pr., stud.med., Kriegsfreiwilliger 1914, seit 1917 Leutnant der Res. Teilnahme an der Novemberrevolution in Königsberg, dann an der bayerischen Räterepublik. Kommunistischer Funktionär und Militant. 1924-1930 Moskau. 1932 Redakteur der Roten Fahne/Berlin, wegen Opposition gemassregelt, April 1933 in Moskau aus der Komintern ausgeschlossen. 1934 Flucht von Moskau nach Prag, August 1938 von Prag nach Paris.

Ich war also in Paris, als Ihr Bruder von dem jungen Grünspahn erschossen wurde. Grünspahn wollte auf diese Weise die Weltöffentlichkeit auf das grausische Schicksal seiner Eltern aufmerksam machen, die im Niemandsland zwischen dem Dritten Reich und Polen dahinvegetierten. Als er Ihren Bruder erschoss, glaubte er, den deutschen Botschafter vor sich zu haben.

Wie entstand nun die verleumderische Legende von den homosexuellen Beziehungen zwischen Ihrem Bruder und Grünspahn ?

Ich kannte den Advokaten Moro-Giaffery, der mir in politischen Kundgebungen von gemeinsamen Freunden vorgestellt war. Eines Tages - wenn ich nicht irre, im Frühjahr 1939 - traf ich Moro-Giaffery auf dem Boulevard St. Michel. Ich erkundigte mich nach Grünspahn, dessen Verteidiger Moro-Giaffery war und den er gerade in seiner Gefängniszelle besucht hatte.

Moro war empört über das Verhalten Grünspahns. Dieser "dumme, eingebildete Junge" - sagte er mir - weigert sich, seiner Tat einen unpolitischen Charakter zu geben, und zu erklären, er habe Rath erschossen, weil er mit ihm Gelddifferenzen aufgrund homosexueller Beziehungen gehabt habe. Ein solches Verhalten erfordere das Lebensinteresse der im Dritten Reich wegen der Erschiessung des Herrn vom Rath in Eigentum, Gesundheit und Leben bedrohten Juden. Er, Moro-Giaffery, habe Grünspahn ins Gewissen geredet: er sei schuld an den Judenverfolgungen, die seine Tat ausgelöst habe, das Blut dieser Juden komme auf ihn. Nur dann, wenn er die politischen Motive seiner Tat leugnen und die Angelegenheit als individuellen Racheakt eines von einem Homosexuellen Verführten darstellen würde, würde den Nazis der Vorwand für die Repressalien an den deutschen Juden, "Opfer der Wahnsinnstat und jetzt der Halsstarrigkeit" Grünspahns, genommen werden.

Auf meine Frage, ob Grünspahn tatsächlich Herrn vom Rath gekannt habe, erwiderte er: "Natürlich nicht!" Darauf sagte ich, Moro-Giaffery sei als Verteidiger Grünspahns verpflichtet, die Interessen seines Klienten, also auch seine persönliche Ehre wahrzunehmen. Darauf schrie Moro-Gieaffery: "L' honneur! L'honneur! Was ist die Ehre dieses kleinen dummen Judenjungen gegenüber dem Kampf gegen das verbrecherische Hitlerpack?! Was wiegt die "Ehre" Grünspahns gegenüber dem Schicksal von hundertausenden Juden?!"

Inbezug auf Ihren Bruder sagte Moro-Giaffery: "Ob Herr vom Rath homosexuell ist oder nicht, weiss ich nicht, das interessiert mich auch gar nicht. Aber seine Homosexualität kauft man mir in der ganzen Welt ab: er ist Deutscher und dazu noch deutscher Diplomat!"

In Paranthese möchte ich erwähnen, dass Moro-Giaffery auf einer Massenkundgebung im Sports d'hiver über das Thema: "Der Päderast Hitler!" gesprochen hat.

Moro-Giaffery handelte im Auftrag des unter Leitung der Dorothe Tompson gebildeten "Grünspahn-Kommites", als er Grünspahn veranlassen wollte, seine Tat aus der Sphäre des Politischen, des Antinazismus, in die Sitten-Sphäre zu verlagern. In solchen Fällen (Verführung Minderjähriger) hätten - nach Moro-Giaffery und seinen Hintermännern - die französischen Gerichte geringe Strafen, auch mit Bewährungsfrist (in Frankreich kann bis einschliesslich 5 Jahren Gefängnis Bewährungsfrist bewilligt werden) verhängen können. Aber auch dieses Argument hat, wie mir Moro-Giaffery klagte, auf Grünspahn keinen Eindruck gemacht.

Ich bedauere es, mich nicht bereits früher aufgerafft zu haben, um Ihnen diesen Tatbestand mitzuteilen. Ich schreibe an meinen Memoiren, die infolge meiner durch Emigration und Verfolgung geschwächten Gesundheit und Arbeitskraft nur qualvoll langsam vorwärtskommen. In meinen Memoiren erwähne ich natürlich den "Fall vom Rath-Grünspahn".

Ich gebe Ihnen für die Verwendung dieses Briefes freies Verfügungsrecht, bin natürlich auch bereit, meine Aussage unter Eid zu wiederholen.

Mit freundlichen Grüssen

gez. Erich Wollenberg

CDXLVI-57a Archives du Centre de Documentation Juive Contemporaine, 17 rue Geoffroy L'Asnier 75004 Paris, Tel.: 01 4177 4472 – Fax: 01 48 87 12 50 mention de la source obligatoire pour toute utilisation


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