MICHAEL GRAF SOLTIKOW, Dr. jur
München 27, den 20.9.1964
Redwitzstr. 6
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Hamburg 22,
Schöne Aussicht 23
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Au
Le Monde Juif
Paris IVa
17, Rue Geoffroy -l'Asuier
La Revue du Centre
de Documentation Juive
Contemporaire


Cher Messieurs,

In der Nummer 2 (37) vom April - Juin 1964 brachten Sie einen Bericht des Herrn Lucien Steinberg über den Fall Herschel Grünspan.

Dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie mir ein Exemplar Ihrer Zeitschrift -nämlich diese Nummer über Grünspan zusenden wollten.

Schon jetzt möchte ich bemerken, dass Ihr Artikel, der ja auch (wenn auch ohne Namensnennung) mich erwähnt, leider in vielfacher Hinsicht den Tatsachen und den aufgefundenen Urkunden nicht entspricht.

In 12 Jahren habe ich nicht weniger als 16 dicke Aktenbände angesammelt und aus Archiven aus ganz Europa amtliche Urkunden über den historischen Fall der tödlichen Verwundung des dritten Sekretärs in der deutschen Botschaft Paris, durch Herschel Grünspan vom 7.11.1938, zusammengetragen, eine Bluttat, die für Hitler und Dr. Goebbels der willkommene Vorwand zu der berüchtigten sogenannten "Reichskristallnacht" wurde.

Es war meine Absicht, als Publizist, der Völkerverhetzung entgegenzutreten und die Öffentlichkeit über die Verteidigung des Grünspan zu unterrichten: Grünspan hat sowohl in Paris, als auch später in Berlin stets betont, dass er keineswegs -wie Dr. Goebbels und wie sein ständiger Bevollmächtigter im Falle Grünspan/vom Rath behauptete,- "vom Weltjudentum als politischer Mörder gedungen sei, angeblich um den ihn gänzlich unbekannten Ernst vom Rath zu ermorden, mit dem angeblichen Ziel, dadurch "die ersten Schüsse des zweiten Weltkrieges abzugeben und mit dem Auftrage des Weltjudentums wissentlich und willentlich mit dieser Bluttat den zweiten Weltkrieg zu entfesseln.

Ich bin im Besitz der Anklageschrift des berüchtigten Ober-Reichsanwalts Ernst Lautz gegen Herschel Grünspan vom 16.10.1941 -AZ: 8J.393/41g- worin der Oberreichsanwalt Ernst Lautz auf Seite 19 oben schreibt; dass Grünspan sich damit verteidigt habe,

"Ernst vom Rath längst gekannt zu haben und von ihm mehrfach homosexuell missbraucht worden zu sein."

In einer, auf Urkunden gestützten Studie und Synopsis habe ich gegenübergestellt, die Lesart des Dr. Goebbels und die Lesart des Grünspan.

Es ist nachgewiesene Tatsache, dass die Nazis den Grünspan-Prozess als Schau-Und Monstre-Prozess vom 11.Mai bis 16.Mai 1942 über die Bühne gehen lassen wollten, wobei sie das Weltjudentum auf die Anklagebank setzen wollten, mit dem Vorwand, den Weltkrieg absichtlich entfesselt zu haben, wobei das Weltjudentum auf der Anklagebank durch Herschel Grünspan vertreten werden sollte.

Es ist weiterhin historische Tatsache, dass der Reichsminister Just durch seinen Stellvertreter, Staatssekretär Schlegelberger, Dr. Goebbels dringend davor gewarnte, diesen Schauprozess vor der Weltöffentlichkeit stattfinden zu lassen, weil Grünspan entschlossen sei, das homosexuelle Tatmotiv vor Rundfunk und Presse zu seiner Verteidigung vorzubringen.

Sowohl der Staatssekretär Leopold Gutterer vom Reichspropagandaministerium, als auch der Grünspan-Sachbearbeiter des Auswärtigen Amtes, der Gesandte, Dr. Krümmer, haben dringend davor gewarnt, diesen Schauprozess als Theaterprozess ablaufen zu lassen, und schliesslich hat sich auch Dr. Goebbels davon überzeugen lassen, dass der Prozess unmöglich stattfinden dürfe.

Der Prozess vom 11.-16.5.1942 wurde daher in der letzten Minute abgesetzt. Mein Streben war es, der Völkervergiftung durch Dr. Goebbels entgegenzuwirken.

Hochachtungsvoll


Archives du centre de documentation
juive contemporaine
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Document: CDXLVI_57


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